in ein paar tagen gehe ich auf lesereise mit meinem buch
„ich schlage vor, dass wir uns küssen“. Die tourdaten stehen hier. zwischen den
terminen, obwohl dazwischen kein platz ist, bin ich in jerusalem und lissabon,
eingeladen vom goethe-institut. eine shanghaiisierung auch dies, eine
freundliche, zweifellos. spiele mit dem gedanken, überall nur chinesisch essen
zu gehen, um am thema dran zu bleiben. weiß natürlich nicht, ob es in jerusalem
oder in offingen ratsam ist, chinesisch zu essen. aber das weiß man auch in
shanghai nicht. so lernt man wenigstens gleich überall die regionale küche
kennen.
aus langeweile beschlossen, hier während der lesereise aus
langeweile ein paar notizen zu hinterlassen, um die langeweile zu vertreiben.
vielleicht auch während der lesungen. aus einem buch vorzulesen ist ohnehin eine
der allerfragwürdigsten sachen. wir leben in einer durch und durch
durchalphabetisierten gegend, in der die regression modern und schick geworden ist, sich stundenlang vorlesen zu lassen. inklusive räuspern, ruckeln, husten, schlechtes mikrophon, eine akkustik zum ohrenzuhalten und ein schriftsteller, der liest wie ein umgeschulter bahnhofsansager aus, sagen wir, finnland. 50 oder 100 mal hintereinander den gleichen text zu deklamieren ist für autoren, die sich nicht völlig besinnungslos in ihrer eitelkeit verstrickt haben, eine spezifische
demütigung. oder meditation. bzw. strafarbeit. die gedanken wandern dabei weg, weit weg, wenn auch nicht gleich
wieder bis nach shanghai. sie verlassen den körper, der vorn sitzt und liest, und sind
jedenfalls woanders. wo genau, ist schwer zu sagen.
vor ein paar tagen in
der frankfurter brotfabrik, bei der buchmessenlesung vor ungefähr fünf leuten, denen kein vorwurf zu machen ist, daß die anderen 500 nicht da waren, hatte ich angst,
sie kommen nicht mehr zurück. keine plakate, keine ankündigung, kein eintrag im programmheft. ich war ungefähr der einzige, der wußte, daß ich an diesem abend auftreten sollte. es war eine geheimlesung. ein spirituelles treffen, praktizierter irrsinn, angewandter echtzeit-nihilismus. die gedanken schweiften ab, irrten fort, träumten sich aus dem staub. und sind bis heute nicht wieder aufgetaucht. sie müssen noch irgendwo dort sein, in frankfurt, verschollen, verhaftet, liegen geblieben. gibt es einen gedankenpannendienst? kann man eine radiodurchsage machen? die gedankenpolizei bittet die bevölkerung um mithilfe? wer hat sie gesehen? wer kann nähere angaben machen?
tja, das ist die situation.
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