die mauer bekanntlich sind viele mauern, übereinander gebaut, teilweise nebeneinander und dann wieder ganz woanders, errichtet von diversen dynastien in mehrmals tausend jahren, zuletzt von deng xiao ping, der 1988 den wiederaufbau des inzwischen zum xten mal verfallenen bauwerks proklamierte, diesmal aus touristischem kalkül. in den jahrhunderten zuvor, ließe sich sagen, war es gerade der tourismus der nomaden im norden, den die mauer aufhalten sollte, der tourismus der hunnen, tartaren und mongolen. überliefert ist, daß das nicht oder kaum gelang. die mauer wurde immer wieder überwunden und wurde immer wieder neu gebaut. warum genau, weiß niemand zu sagen. gemutmaßt wird, letztlich sei’s reine symbolik gewesen, die den chinesen bedeuten sollte, daß sie drinnen waren, während die auf der anderen seite draußen bleiben müssen oder bleiben sollten. im grunde war die mauer nicht viel mehr als das, was heute ein kleines schild für hunde vor dem statdtteilbäckerladen ist.
im norden
pekings, wo ich war, wirkten nun beide seiten der mauer nicht sehr einladend. schroffe
gegend hüben wie drüben, bewachsen von struppigstem gehölze, karge, öde
landschaft, reizlose partie. auf der mauer war es noch am erträglichsten. die mauer
sprach praktisch für sich, hatte ihre eigene grazie, gerade im kontrast zur
umgebung. elegant behauptete sie sich auf den hügelkämmen. harmonisch schwang sie
richtung horizont. eine augenweide.
dem jederzeit in mir schlummernden allegoriker
gibt das zu denken. die berliner mauer, durchlässig auch sie, vor allem
zuletzt, verdankt ihren fall und ihr völliges verschwinden womöglich dem umstand,
daß sie zu häßlich war, zu plump, ästhetisch zu unerfreulich. es gab keinen grund,
sie länger stehen zu lassen, als sie stand. die mauer war als mauer einfach nicht
schön genug, ihr weg durch die stadt verlief alles andere als grazil, und
ansonsten wirkte sie immer: banal, bigott, blöd. die berühmten verse von peter
hacks, aus dem gedicht „das vaterland“, sie sind nicht mehr als kabarett und, leider,
nicht zu halten, nicht zu glauben:
Wer kann die Pyramiden überstrahlen?
Den Kreml, Sanssouci, Versailles, den Tower?
Von allen Schlössern, Burgen, Kathedralen
Der Erdenwunder schönstes war die Mauer.
Mit ihren schmucken Türmen, festen Toren.
Ich glaub, ich hab mein Herz an sie verloren.
NEUES PREISAUSSCHREIBEN:
"...der erdenwunder schönstes" – ist peter hacks' rühmung der berliner mauer die fortsetzung der poesie mit ideologischen mitteln? warum, zu welchem dichterischen behufe, poetischen nutzen und künstlerischen frommen besingt und lobpreist er das schmuck- und reizlose bauwerk ausgerechnet für seine schönheit? für die beste und erhellendste und zugleich einleuchtendste lesart der o.a. und fett gesetzten 6. strophe stifte ich das original des seinerzeit von hacks in die KONKRET-redaktion eingesandten blattes mit dem gedicht "das vaterland"*. juror wird sein der dichter und endreimgott horst tomayer, selbst verfasser eines gedichts über die berliner mauer und zuletzt hacks korrespondent in hamburg. einsendungen bitte nicht länger als etwa 6000 zeichen und bis zum beginn der leipziger buchmesse (17.3.) hier in den kommentar. bekanntgabe des gewinners oder der gewinnerin am buchmessensonntag (21.3.), hier auf dieser seite.
hier entlang zur kleinen debatte auf der peter-hacks-seite.
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