Ich weiß nicht mehr, wo ich
überall war, wie oft ich wohin gefahren wurde, und ich hab nicht gezählt, wie
lange ich im stau stand, am flughafen wartete, irgendwo abgeholt wurde, um
woanders zu sein. Das zermürbende am reisen ist ja nicht zuletzt das reisen
selbst: das ein-, aus- und umpacken, anstehen, herumstehen, einsteigen,
verstauen, abwarten, umsteigen, ankommen etc. alles tote, tumbe, mit nichts
vertane zeit. Die reiserei, um es mal gültig zu definieren, suspendiert den
reisenden vom dasein. Je mehr leute reisen, desto mehr leute sind weg vom
fenster. Sie nehmen nicht mehr teil. Sind, zeitweise wenigstens, verschollen.
Während
ich dies schreibe, sitze ich im flugzeug nach campeche. Es ist ein kleines
flugzeug, und mein platz ist ganz hinten, neben der klotür. Immer wieder erstaunlich, wie
viele menschen im flugzeug als erstes aufs klo müssen. Pilgerströme
bewegen sich an mir vorbei. Das klo ruft, und sie machen sich auf den weg durch den gang zu mir, an mir vorbei. Sie können nicht anders. Vermutlich weil der klobesuch
eine der wenigen angelegenheiten beim reisen ist, die umsonst sind, oder weil niemand
genau weiß, wann er je wieder wird aufs klo gehen können, oder weil es der
einzige ort ist, an dem man halbwegs allein und für sich sein und andacht
halten kann, um sich zu fragen, warum man es sich immer wieder antut, das
reisen. Das klo, man achte mal drauf, ist das eigentliche ziel des reisens. 95
prozent aller gespräche von reisenden drehen um die toiletten hier und dort, um
die regionalen toiletten-regularien, toiletten-horrortrips, toiletten-dramen,
und die kloerlebnisse zwischen kapstadt und kap verden sind highlight jeder
reiseschilderung. auch emotional übrigens: was früher die safari war, ist heute die expedition zu den restrooms. (in mexiko, ich kann mitreden, klar, isses, das muß man sich mal vorstellen, nämlich vielerorts so: man
wirft das papier nicht in die toilette, auf keinen fall, sondern in einen eimer
daneben, und die spülung betätigt man mit einer art gaspedal, das oft perfekt
versteckt ist, damit man mit heruntergelassenen hosen eine weile herumsuchen kann.)
Campeche
liegt am golf von mexiko, unweit des öldramas, das die nachrichten penetriert . Welche lesung dort stattfindet, wusste niemand zu sagen. Bisher
war
es so, dass die autoren des diesjährigen europäischen literaturfestivals
überall im land in riesigen theatern oder hallen auftraten, wo sie
allerdings
nicht angekündigt waren. Zehn bis zwanzig zufallsgäste tummelten sich
da, wie auch immer sie den termin erraten haben mögen. Viele
schliefen. Bei der lesung im planetarium des Instituto Politécnico
Nacional
zählte ich sieben (von 21) zuschauern, die teilweise laut schnarchend in
den
sesseln lagen, sehr bequemen sesseln übrigens, wie der gerechtigkeit
halber
nicht unerwähnt bleiben soll.
Dennoch: als ich dieses kleine mädchen zu
den
trommeln der straßen-azteken tanzen sah, in der nähe des zócalo, gestern
abend,
da dachte ich: ja und juhu, hier bin ich gern und schaue zu.
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