die lesung in campeche war in der bibliothek des städtchens, und wenn ich städtchen sage, so klingt das vielleicht etwas herablassender, als es klingen soll. über 200.000 einwohner leben hier, von riesigen festungsanlagen umgeben, die vormals vor priatenangriffen schützten. die stadt mit ihrer kolonialen architektur ist museum und weltkulturerbe, sie hat eine beeindruckende kathedrale mit schwarzem mamor-fußboden und jede menge denkmäler, aber ihre hauptattraktion für mich ist eben jene bibliothek, in der ich las. das empfangszimmer gleicht einem prunkvollen palastsaal, und wer immer hier leiter, chef, direktor, generalpräsident oder buchpapst ist, der logiert nicht in einer besenkammer. während die provinz-bibliotheken in deutschland ein ebenso kümmerliches wie kummervolles dasein fristen, eben noch so geduldet, resterampen vormaliger epochen, bestückt mit billigschwarten, betrieben von teilzeitkräften, scheint in mexiko der bibliotheksdirektor erstrangige repräsentationsfunktionen zu versehen, glanz und gloria auf sich zu ziehen und jedenfalls über ein arbeitszimmer zu verfügen, in dem auch der spanische könig gut mal absteigen und eine cigarre durchziehen könnte. oder, wie ich hier beschlossen habe, ich, in fünf jahren, wenn ich für die stelle, die, wie ich höre, neu besetzt werden soll, kandidiere.
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