Offenbar hat in meinem leben eine phase begonnen, in
der schiffsreisen für mich an bedeutung gewinnen. Innerhalb weniger tage fuhr
ich hier mit einem schiff bei puerto madryn walen hinterher, ich saß an bord
der modest victoria auf dem lago huapi nahuel und ließ berge an mir
vorbeigleiten, und ich bestieg ein boot bei calafate*, das mich zum gletscher
perito moreno brachte, der leider nicht „kalbte“, wie es im deutschen heißt. Die
gletscherkuh "kalbt" nämlich nur alle paar jahre. Bei den enormen antarktischen winden,
die herrschten, und bei den touristischen voyeuren, die sich vor ort
versammelten, hätte ich, an gletschers stelle, auch nicht „kalben“ wollen. Alle
diese schiffsreisen jedenfalls waren mich tief prägende erlebnisse bei
kaffee und kuchen.
Jetzt bin ich nach ushuaia geraten, in die zweitsüdlichste
stadt der welt und zweithäßlichste. ushuaia ist eine uninspirierte barackensammlung, häufig
einstöckig, zweistöckig, windschief, staubzerfressen, forciert trostlos.
Abseits der san martin, der einzigen hauptstraße, an der die üblichen globalen
ramschketten und souvenirdealer liegen, geht die stadt zügig in veritable
elendsbereiche über, die sich wie sperrmüll die andenhänge hinauf ranken. Über
die straße laufen hunde, wie man sie eigentlich nur unter der erde vermuten würde.
Andere scheinen dafür in häusern zu wohnen. Einmal schaute mich einer von ihnen unerwartet aus dem
schlafzimmerfenster seines (?) hauses an. Es war kein traum, und er war echt.
Nach diesem ereignis gewannen die stadt und die ganze reise deutlich an
surrealität.
Niemand kommt gern nach ushuaia, alle reisen gern wieder ab. Dazu ist der hafen da, von dem sie stadt lebt bzw. fortexistiert. Manche reisen von hier aus sogar in die antarktis, um wegzukommen. Andere machen ausgedehnte rundfahrten. Mit dem schiff, versteht sich. So blieb mir praktisch nichts anderes übrig, als erneut an bord zu gehen, diesmal der elisabetta, um mit ihr auf dem beagle-channel den zweitsüdlichsten leuchtturm** der welt zum umkurven. Unterwegs betraten wir die isla bridges, wo in früheren epochen einmal die yamana-indianer schamanistische rituale abgehalten haben sollen, wofür ich sie sehr bedauerte. Wir gerieten dicht an mehrere aus dem wasser ragende felsen. Auf ihnen lungerten seegänse und seelöwen herum, die seelenruhig vor sich hin stanken. Dann kam der leuchtturm, und er war so imposant, wie es ein zweitsüdlichster leuchtturm sein kann, einer, der nicht mehr leuchtet, einer, über den Jules Verne keinen roman mit dem titel der leuchtturm am ende der welt geschrieben hat, ein arbeitsloser, überflüssiger, kaputter und einsamer leuchtturm eben. Mich, der ich sonst kein feind der kalten schulter bin, ließ er aber nicht unberührt. Aus den bisherigen schiffserlebnissen hatte ich gelernt, daß sich das spirituelle niveau heben läßt, wenn man für einen tragischen soundtrack sorgt. Während der ganzen zeit lief in meinem kopfhörer goreckis 3. sinfonie, die sinfonie der klagelieder, der 3. satz, und ich bedauerte diesen leuchtturm, beklagte ihn, meinen freund und bruder, beim ausharren im kampf gegen die immer dunkler werdenden dunkelheiten, inniglichst.
* hier gibt es übrigens flamingos. Sie sind wirklich pink und stehen einbeinig voller anmut in der landschaft. Und wenn sie im lockeren pulk in ein graues wüstental einschweben, um irgendwo zu landen, dann tun sie dies mit einer sanftheit, vor der man sich gern verneigen würde, wenn keiner zusieht.
** Der zweitsüdlichste leuchtturm der welt wird oft für denjenigen gehalten, der in jules vernes roman der leuchtturm am ende der welt eine herausragende rolle spielt. Er ist es aber nicht, Verne meint einen anderen, noch weiter südlich gelegenen, irgendwo hinter südgeorgien*** postierten. Das buch übrigens ist wirrer räuberrevolver. Es spielt auf einem öden felsen, den sich besagter leuchtturm, seine wachmannschaft sowie ein paar piraten teilen müssen. Die piraten überfallen den leuchtturm, töten zwei der drei wachleute und wollen sich mit ihrer beute davonmachen. Daran werden sie aber von wachmann nr. 3 und einem plötzlich aus dem nichts bzw. vermutlich eiskalten wasser auftauchenden schiffbrüchigen im allerletzten moment – nun, dreimal darf geraten werden.
*** Achtung! Möglicherweise wird dieser Leuchtturm im moment von einem deutschen schriftsteller namens Christian Kracht observiert und als basislager für diverse eroberungsideen genutzt.Vorsicht! Der mann hat einen an der waffel.
Lieber Rayk Wieland,
mein Kommentar von vorgestern zu ihrer Feinkost in Bariloche ist in der tat nie angekommen, das ist traurig und geht auf meine blog Unerfahrung zurück; sicherlich gab es eine Option "speichern" die ich übersehen habe. Ich kann den Text nicht mehr rekonstruieren:er ging über meinen Neid gegenüber ihrer Fähigkeit, überwältigende Öde, Natur a la Riefenstahl beschreiben zu können. Diese Mischung von Plastik Turismus, Schokolade und Natur vor der man sich -wie bei den Flamingos- verneigen könnte. Da war auch etwas über die Erschütterung bei der Kondor Jagd, ein Augenblick der Epiphanie, das mich beim Lesen erschütterte, und so weiter.
Der Hund, der hier abgebildet ist, existiert nicht wirklich: das haben sie nachkonstruiert und ich frage mich wie und wo. Darum beneide ich sie wieder.
Das wars. Ich hoffe, dass dieser Kommentar ankommt. Werde mich bemühen, alles richtig zu machen. Schade, dass sie morgen den Süden verlassen. Ich hatte mich allzu sehr daran gewöhnt, in der Öde ein refugium zu finden.
Ihre
Gabriela Massuh
Kommentiert von: Gabriela Massuh | 22. September 10 um 19:10 Uhr