Bariloche, wohin ich nach schlingernder fahrt mit dem nachtbus* durch die nachtseite der welt geraten bin, zerfällt in zwei teile: in bariloche und in die umgebung von bariloche. Die stadt ist der übliche touristenhumbug, kaum 100 jahre alt, verstopft mit bettenburgen und souvenierschlamassel der unerfreulichsten art. urlauberkohorten schießen durch die straßen, tag und nacht die lärmenden anschläge der spaßterroristen, müllhalden, gewerbebrachen, favelas und wintersportareale umkränzen die stadt wie eine rosette des horrors. Mein hotel, das „super resort bariloche“, hat zwei sterne: einen habe ich ihm bereits aberkennen müssen, der andere wackelt. Die umgebung aber, die weitere umgebung der hochanden, der lago nahual huapi, ist von aufrüttelnder zauberhaftigkeit. Dem besichtigungszwang nachgebend, dem man auf reisen, zumal in quasi elysische gefilde, regelmäßig hilflos erliegt, habe ich die alte „modest victoria“ bestiegen, die eine rundfahrt durch die gletschergewässer macht. Der film oben ist ohne dialoge, aber dokument eines selbstgesprächs ohne worte** und resultat einer verzückung, die auf der isla viktoria, wo das schiff kurz anlegte, sich in die extase steigerte. Als alle passagiere von bord gingen, um ein restaurant aufzusuchen, sah ich über den baumwipfeln einen schwarzen schatten. Ich umrundete die menschenleere insel auf der suche nach einer lichtung, bis ich ihn sah sah: den kondor***. Gleich mehrere vögel kreisten über mir. Und ich wurde für diesen moment teil einer postkartenhaften idyllesken epiphanie, die mich fast demütigte. Ich weiß, die natur ist alles andere als eine bilderbuchvorlage für romantische spinner. Ich weiß es, und wollte es nicht wissen.
* ein ideales geschaukel, eigentlich, wäre nicht direkt über mir der lautsprecher für den monitor gewesen. der monitor war defekt, der lautsprecher nicht. die halbe fahrt gabs filmdialoge und krawallatmo. es wurde debattiert, irgend ein familienstreit, irgend wer mußte immer laut werden, hin und wieder erschien ein raunender geist oder haßprediger und drang in mich ein, schüsse fielen, reifen quietschten, plötzlich stille, ich atmete durch, aber jetzt, sich langsam steigernd, waren tatsächlich schmatzende kußgeräusche zu vernehmen, widerwärtiges klaviergeklimper schwoll an, türen schlugen zu und gingen offenbar leider wieder auf, alles begann von vorn. mehrmalige konsultationen des busschaffners über diesen "stupid speaker" führten nicht weiter. im nachhinein sind allein zwei dinge sehr erstaunlich: a) welche umfangreichen gewalt- und amokphantasien ich in den zehn stunden, nachts, im bus, die wüste querend, müde, zu entwickeln imstande war und wie es mir b) doch irgendwie gelang, äußerlich ruhig dazusitzen, aus dem fenster zu schauen, als wäre da irgend etwas zu sehen gewesen, und mir nichts anmerken ließ.
** ich stellte mir vor, wie es wäre, würde man immer so durch sein leben dahingleiten auf dem dampfer der gnade, das leichte schaukeln der wellen des schicksals, vorbei an den kathedralen des erhabenen, des reinen und schönen, ein ewiges fototapeten-panorama, und ich wußte, es wäre spätestens nach zweidrei tagen unerträglich. man muß das glück nur verlängern, um es zu beenden.
*** genauer: bis ich ihn zu sehen vermeinte, ersehnte, mir einbildete. Es waren normale schwarz- oder rabengeier, die da kreisten ... "die für viele Touristen im Süden der USA, Mittel- und Südamerika zum gewohnten Anblick gehören" (wikipedia). die kleine nachträgliche richtigstellung verwandelte meine verzücktheit in eine mittlere blödheit (was sie wahrscheinlich sowieso war), und ich kann nicht sagen, daß mich diese transformation nicht düpierte.
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