Ich wußte gar nicht bzw. wußte nicht mehr, daß ich schon einmal in patagonien war, vor vielen jahren, und zwar im gedicht, wie ein simples suchfunktionsergebnis auf meinem rechner heute ans tages- bzw. spätabendlicht gebracht hat. Untiges werk schrieb ich auf einer lesereise, die ich mit dem buch ÖDE ORTE absolvierte, irgendwann in den 90ern. Ich hoffe nun nichts so sehr wie dies: daß ich die anderen orte dieses gedichts nicht auch noch werde persönlich aufsuchen müssen. Benennungen und benamsungen haben anscheinend den obskuren drang, sich zu materialisieren, ihr recht einzufordern, sich zu verwirklichen, wie mein patagonien-beispiel hier zeigt, nein: beweist. Und ich will, bitte, weder ins beduinenkloster noch an die autobahnplanke.
ps
auch nicht nach omsk.
Leipziger Elegie
Leipzig, das ist doch kein Name
Leipzig macht keinen Sinn
Leipzig ist Leipzig ist immer wieder Leipzig
Weil ich in Leipzig geboren bin
Leipzig auf Stellen und Ämtern
Von der Geburt bis zum Sarg
In Paß-, Bank-, Kranken-, Ausweis-und Führerscheinangelegenheiten
Und im Rentenbewilligungsantrag
Leipzig im Stempel des Melderegisters
Leipzig im Zeugnis in jedem Jahr
Leipzig in Universitätsimmatrikulationssekretariaten
Und im tabellarischen Lebenslauf, klar
Leipzig als Deutschkurs-Aufsatzthema
Leipzig in Baku am Kaspischen Meer
Überall sagst du wie John F. Kennedy einstmals bekanntlich
"Isch bin oin Leupzigör"
Leipzig auf dem Zeltplatz in der Provence
Leipzig im Skikurs-Formular
Leipzig im Flugzeug, nachts, Sitz 68, glaub ich
Leipzig in Sansibar
Leipzig, Leipzig und immer nur Leipzig
Es ist zum Edvard-Munch-haften Schrein
Und kein Arzt hilft dir aus der Krise der Krisen
In, in ... na, wo wohl ... geboren zu sein
Du kannst dein Geschlecht umwandeln oder
Straks in ein Beduinenkloster gehn
Dieses ... ihr wißt schon ... es wird, und zwar als Geburtsort
Bei deinen Lebensdaten stehn
Du erhältst den Nobelpreis bzw.
Die Ehrenbürgerschaft im sibirischen Omsk
Bekannt wird, daß du nicht aus dem klangvollen Patagonien
Sondern aus Dingsbums bei Delitzsch kommsk
Du liegst an der Autobahnplanke im Koma
Mit einem Reifen zwischen den Ohrn
Doch der Sanitäter fragt wieder und wieder:
Wo bist du, wo bist du, wo bist du geborn?
Dem wirst du niemals entweich- nein: entrinnen
Egal, was du unternimmst, anstellst, treibst
Daß du auf der Galeere – äh – „Pünktchen, Pünktchen“
Zeitlebens Sklave bleibstLebenslänglich lautet das Urteil
Und das Leben ist leider lang
Und es steht unter unfassbarstem
Geburtsorts-Wiederholungszwang
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